Helmut Schuster, Rektor Grund- und Hauptschule Schwarzenfeld
Redaktion „Die Schulleitung“: Rezension zur „Krisenbox“
Schulleiter-Kartei „Führung und Verantwortung bei schulischen Krisen“ ein „Muss“ für alle Fälle/ Expertenrat schnell bei der Hand
Die schlimmsten Momente, Minuten und Stunden im Schulleiterleben sind naturgemäß denen im privaten Leben sehr ähnlich. Der plötzliche Tod einer Lehrkraft, der Unfalltod oder der Suizid eines Schülers, Gewalttaten, sexueller Missbrauch oder Mord- und Bombendrohungen sind Ereignisse, die sich niemand gerne vorstellt, aber dennoch jeden Schulleiter im Laufe seiner verantwortungsvollen Tätigkeit in führender Position in höchstem Maße fordern können. Der Unterschied zur privaten „Krise“ liegt darin, dass der Schulleiter in so einer Situation nicht wie eine persönlich betroffene Privatperson reagieren kann, sondern als zuständige Führungsperson von Anfang an so professionell, umsichtig und situationsangemessen wie möglich agieren soll.
Seit 2004 haben deswegen auch alle bayerischen Schulen ein eigenes „Sicherheitskonzept“, das fortlaufend weiter entwickelt werden soll und in den meisten Fällen wohl auch Ansätze für ein anwendbares Krisenmanagement enthält. Dennoch fühlen viele Schulleiter großes Unbehagen bei der Vorstellung, wenn sie plötzlich mit Extremsituationen konfrontiert würden wie Geiselnahme, Amoklauf, Bedrohung mit Schusswaffen oder Brandstiftung. Gelingen hier vielen von uns noch Verdrängungsmechanismen nach dem St. Florians-Prinzip oder dem Motto „Bei uns gibt es so etwas hoffentlich nie“, so steigert sich das Unwohlsein doch bei weit „harmloseren“ Szenarien wie sie jeder Schulleiter bestimmt schon mehrfach erlebt hat, wenn er/sie einige „Dienstjahre“ als Schulleiter hinter sich hat. Wer kennt nicht unheilvolles „Mobbing“, egal ob bei Schülern oder sogar unter Lehrern? Auch Fälle von Körperverletzungen, Kindesmisshandlungen, Selbstmorddrohungen und -versuche, Diebstahl, Erpressung, Lehrerbeschimpfungen, Eskalationen mit Eltern, schwerere Unfälle und schwerste bis tödliche Erkrankungen dürften auf die Dauer niemandem erspart bleiben. Solche „Krisen“ sind zwar selten, aber auf Dauer nicht auszuschließen.
Hier gibt es nun eine neue, wirklich „praktische“ und sehr empfehlenswerte Hilfe, die eine Lücke schließt und die Führungspersonen in der Schule dazu befähigt, schnell und angemessen auf krisenhafte, oft unvorhersehbare und tragische Ereignisse zu reagieren. In den mehr als 200 sehr übersichtlichen, farbig gestalteten, beidseitig bedruckten Karteikarten stellen die Autoren Arthur Englbrecht, Norbert Hirschmann, Wiltrud Richter, Hans-Joachim Röthlein und Dr. Roland Storath ihr wertvolles Expertenwissen „greifbar“ zur Verfügung, das sie als Diplompsychologen, Supervisoren, Therapeuten, Gruppentrainer, Schulentwicklungsberater, Kriseninterventoren (u.a. in Erfurt) in jahrzehntelanger Arbeit in professioneller Beratung und Begleitung von Schulen erworben haben.
Eigentlich erfüllt das Werk „Führung und Verantwortung“ bei schulischen Krisen“ eine doppelte Funktion: Einerseits ist es zum Thema „Schwierigste Problemsituationen in Schulleitungsverantwortung“ ein Standardwerk, das es lohnt und reizt, von A bis Z gelesen und studiert zu werden. Hier hilft ein umfangreiches Stichwortverzeichnis ganz vorne, eine klare Gliederung mit einem Leitfaden für achtzehn Krisenszenarien mit fünf Kategorien „Unfall“, „Bedrohungslagen“, Gewalttaten“, „Suizid“, „Krankheit/Tod“, dazu passend knappe, griffige Expertisen zum Krisenmanagement, neuropsychologischen Grundlagen und speziellen Erfahrungen mit besonders problembeladenen Bereichen, konkrete und direkt benützbare Hilfen zur Unterstützung Betroffener bis hin zu Musterbriefen an Eltern, Anleitungen zur Bildung und Führung des Krisenteams sowie ein umfangreiches Glossar mit hunderten wichtiger Fachbegriffe und einer Sammlung wichtiger gesetzlicher Grundlagen (von BGB über StGB bis hin zu LDO und BayEUG), besonders nützlich für Bayerns Schulen, und abschließend eine Liste mit knapp 100 Literaturhinweisen und 40 Links.
Für den Fall des Falles, den ungeliebten „Un-Fall“, kann und wird die „Krisen-Kartei“ der fünf Schulpsychologen, die maßgeblich und vorbildhaft „KIBBS“ gegründet haben (Kriseninterventions- und -Bewältigungsteam Bayerischer Schulpsychologinnen und Schulpsychologen), eine unverzichtbare Basis und Rückversicherungsmöglichkeit sein, besonnen und adäquat die Führungsrolle in einer Situation wahrzunehmen, in der es ganz besonders auf sie ankommt. Hier ist eine „Karteikarte“ zum „Festhalten“ in der Hand allemal besser als eine CD/DVD auf der Festplatte oder im Regal.
Dabei findet der Leser für jede Krisensituation einen dreiphasigen Aufbau mit wertvollen Hilfen in Form von Fragen, Hinweisen, Tipps und konkreten Anleitungen. Dies beginnt mit der Phase I zur Situationserfassung und der Klärung, welche ersten Maßnahmen sofort ergriffen werden müssen. Die Phase II kann mit Fürsorge und Kontrollübernahme umschrieben werden. Die Phase III beinhaltet den Übergang zum „Normalzustand“ und die Nachsorge. Grundsätzlich werden immer vielfältige Möglichkeiten aufgezeigt, auf personelle Ressourcen schulischer Krisenbewältigung zurückzugreifen und Hilfen in Anspruch zu nehmen.
Die „Krisen-Kartei“ gehört zum Schulleiter-Handwerkzeug wie das altbewährte „Schulleiter-ABC“, das nach wie vor oft der favoritisierte Ratgeber für schnelles und angemessenes Schulleiterhandeln ist und einen festen zentralen Platz im Rektorat hat. Gerade eine auf Selbständigkeit bedachte Schule wird hohen Wert auf Salutogenese legen und dabei – besonders bei den „alltäglichen Krisen“ – auf seine eigenen Kräfte vertrauen und schwierige Phasen mit allen verfügbaren Kräften meistern. Dazu gehört auch zu wissen, wann die eigenen Kräfte nicht ausreichen und Notfall-Experten zu Hilfe geholt werden müssen. Für die kleinen und die großen „Fälle“ hält die Krisen-Box alle notwendigen Hilfen bereit, bis hin zu Notfall-Telefonnummern. Wer möchte, kann seine Schule auch für die jährlichen Erweiterungen der „lernenden“ Krisen-Box anmelden.
Ob und wie ein/-e Schulleiter/-in diese Anschaffung, die für ca. 75 € direkt beim Verlag zu bestellen ist, nützen wird, hängt im Ernstfall sicher von seiner/ihrer persönlichen Disposition zum Krisenmanagement ab. Ein Studium der Kartei und die aktive Handhabung derselben wird in jedem Falle die Kompetenz erhöhen, schlimme Krise zu bewältigen und die Schule durch schwere Zeiten zu führen. Die stabil gebaute, rote Box ist klar gegliedert und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Sie enthält sogar eine exakte Bedienungsanleitung und ist wohl durchdacht bis hin zu Platzhaltern für Kartenentnahmen. Die Autoren haben für das „Gesicht“ der Kartei chinesische Schriftzeichen gewählt, die eine „Krise“ zugleich als „Gefahr“ und als „Chance“ sehen.
Selbst wenn man Krisen nicht unbedingt Positives abgewinnen möchte, muss man dennoch den Autoren zustimmen, wenn sie vorausschicken, dass durch Prävention die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Krisen reduziert wird. In jedem Falle stimmt es, dass durch adäquates Handeln der Schaden zumindest begrenzt werden kann. Das ist das Mindeste, was wir Schulleiter tun können und müssen, denen die gute und gesunde Schule ein Herzensanliegen ist!